"Nichts ist statisch. Improvisation ist alles." Kernsätze aus den Liner Notes des Albums "The New Lennie Tristano",die noch heute, 57 Jahre nach dessen Veröffentlichung, gelten und wirken. Ganz besonders für diese bewegte und bewegende Hommage an den blinden amerikanischen Piano-Pädagogen, Be Bop-Philosophen und Free Jazz-Vorreiter Lennie Tristano, ein noch heute oft verkanntes Genie, sogar "the mystery-man of Jazz", wie ihn Rolling Stone-Autor Robert Palmer nennt. Die knapp 70 Minuten dieser 13 improvisierten Musiken klingen sehr bewusst und hoch konzentriert, dabei frei und ungezwungen, absolut im und für den Moment. Dass sie außerdem essentiell und entspannt sind, den Zuhörer mit immer neuen Melodien und "Lines" berühren und im nahezu Gedanken übertragenen Zusammenspiel aufgehen, spricht ebenso für Tristanos Ideen wie für ihre virtuose Umsetzung. Die Bandbreite auf dieser CD reicht von einem Bach-Präludium über Tristano-Melodien und Meisterwerke der Tristano-Schüler Connie Crothers und Jimmy Halperin bis zu zwei konsequenten Standards und etlichen faszinierenden Kompositionen von Andreas Schmidt selbst. Das Album endet, typisch Tristano, in einem gut zehnminütigen Loop - so meditativ wie magisch. Gleichzeitig überzeugt das hochkarätige Trio mit klanglicher Stringenz und einer spielerischen Wahrhaftigkeit, die ihresgleichen sucht. Man hört unweigerlich hin und unabdinglich zu. Das kommt nicht von ungefähr. Der Pianist und Arrangeur Andreas Schmidt ist bekannt durch seine viel gelobte und tief gefühlte Arbeit mit dem Lisa Bassenge Trio, dem Katja Riemann Oktet und Ute Lemper, dazu Aufnahmen und Konzerten mit Michael Schiefel, Lee Konitz oder Gary Peacock. Kollegen loben die "überraschende Schönheit und Originalität" seiner Musik und seine "lyrische Virtuosität mit tiefem, persönlichem Gefühl" (Connie Crothers), sogar seinen "inneren Sinn für Lyrik" (Borah Bergman). "Hommage à Tristano" ist Andreas Schmidts drittes Album, aber seine erste Klavier-Trio Einspielung. Der Lehrer und Korrepetitor an der Berliner Hochschule für Musik "Hanns Eisler" hat diese CD am 19. September 2005 im A-Trane aufgenommen, dem Club also, in dem er in den letzten Jahren bei einigen hundert Montags-Sessions und Konzerten glänzte. Im Trio mit John Schröder am Schlagzeug und Christian Ramond am Bass erweitert Andreas Schmidt auf, je nachdem, angenehm respektvolle und notwendig despektierliche Art und Weise die Lehren der Tristano-Schule. Schmidt, der in den letzten Jahren immer wieder mit Tristano-Schülern wie etwa Connie Crothers, Jimmy Halperin, Paul Bley, David Liebman und natürlich Lee Konitz spielte und kommunizierte, betont die Essenz der Improvisation. Seine "Hommage" erweitert die Spielweise des Meisters um "das interaktive, verflochtene und teils abstrakte Improvisieren der drei Musiker miteinander". Es sind spontane Momentaufnahmen mit dem tiefen Gefühl der Ehrlichkeit und Echtheit für die Musik, unabhängig von Trends oder Konzepten. "Wir dokumentieren das Entstehen von Musik, die Improvisation, das Leben im Moment", konstatiert Andreas Schmidt. "Es ist eine sehr bewusste Erfahrung, bei der jede Note zählt." Oder, wie es Lennie Tristano einmal formulierte: "Es ist nicht Instant-Komponieren; es folgt nicht irgendeiner Formel. Alles was man tut ist, Musik im Kopf zu hören und sie zu reproduzieren." Wie echt und gut, mitreißend und überwältigend das klingen kann, hört man auf dieser ausgesprochen anspruchsvollen "Hommage à Tristano". Ein glückliches Zusammenwirken von Kreativität und Können - nichts ist statisch, Improvisation ist alles.
Götz Bühler
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